Marketingchefin Annette Kreidler und Werksleiter Sven Harm an der Haarnetz, Schutzbrille und Warnweste sind Vorschrift: Werksleiter Sven Harm und Marketingchefin Annette Kreidler stehen in der Abfüllanlage von Fürst Bismarck.
Foto: Michael Rauhe / Michael Rauhe / FUNKE Foto Services
Der Mineralbrunnen im Sachsenwald hat in diesem Jahr schon zwei Mal den Besitzer gewechselt und plant diverse Neuerungen.
Aumühle/Reinbek. Haarnetz und weißer Hygienekittel gehören zur Standardbekleidung in der Lebensmittelproduktion. Weil man einem rangierenden Gabelstapler begegnen könnte, bitte auch Warnweste tragen. In der Produktionslinie 3 der Fürst Bismarck Quelle im Sachsenwald ist zudem Schutzbrille vorgeschrieben.
„Wir haben es hier mit Glas zu tun. Splittergefahr, dann muss das sein“, sagt Sven Harm vor dem Rundgang durch die Halle. Der Werksleiter rät zudem zu Ohrstöpseln. Dicht an dicht stehende Glasflaschen, die auf dem Förderband gegeneinander dengeln, machen nun mal Geräusche. Egal, ob sie gerade leer, ohne Etikett und frisch gereinigt aus der Spülung kommen oder gefüllt und mit verschraubtem Deckel Richtung Etikettiermaschine eilen.
An diesem Vormittag wird Mineralwasser Medium abgefüllt. „36.000 Flaschen pro Stunde“, sagt Sven Harm. Allein auf der Linie 3. Wenn die beiden anderen Wasch- und Abfüllanlagen auch laufen, sind es insgesamt sogar 96.000 Flaschen binnen 60 Minuten. Die etwa 110 Beschäftigten bei Fürst Bismarck arbeiten in drei Schichten rund um die Uhr. Es gibt viel zu tun. Und das ist für einen Mineralwasserbrunnen im dritten Jahr der Pandemie schon mal eine gute Nachricht.
Das Auftreten des Coronavirus mit all seinen Weiterungen hat die Branche heftig getroffen. Im vergangenen Jahr sank der Absatz der knapp 190 Mineralbrunnen in Deutschland wie schon 2020 deutlich. 2021 konnten sie 5,9 Prozent weniger Wasser und Heilwasser absetzen als im Jahr zuvor, die Gesamtmenge fiel von knapp 10 Milliarden auf 9,4 Milliarden Liter, der Pro-Kopf-Verbrauch im Jahr von 132 auf unter 123 Liter. Untersuchungen zeigen, dass die Verbraucher verstärkt auf Leitungswasser umstiegen und es sich daheim im Automaten selbst aufsprudeln.
Das sind die wichtigsten Gründe für den Trend, aber nicht die einzigen. Branchenexperten machten in Pandemiezeiten auch eine Abkehr der Käufer von Wasser in dünnwandigen PET-Einwegflaschen aus. Einen Teil der Verbraucher plagte bei den 1,5-Liter-Kunsttoffflaschen für oft gerade mal 19 Cent offenbar das Klima- und Umweltgewissen, ein anderer Teil leistete sich wohl auch teureres Mineralwasser in Glas-Mehrwegbehältern.
Bleiben sie auf dem Laufenden rund um die Themen Immobilien, Wohnen & Stadtentwicklung
Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.
All dies führt zu Verwerfungen in der Branche: Edeka und Netto haben sich während der jüngsten Preisverhandlungen mit dem Hersteller ihrer Eigenmarken-Wasser nicht einigen können. Nun sollen andere Brunnen liefern. Der bisherige Edeka-Lieferant Altmühltaler hat nach dem Verlust des Vertrags angekündigt, sein Werk im brandenburgischen Baruth Mitte des Jahres zu schließen. 300 Beschäftigten ist bereits gekündigt worden.
Am Westufer der Bille, hart an der Grenze zwischen Reinbek-Krabbenkamp und Aumühle, spielen sie seit jeher allerdings in einer anderen Liga: Markenwasser. Die Konkurrenz heißt nicht Ja! oder Gut & Günstig, sondern Gerolsteiner, Volvic, Adelholzener, Vilsa oder Hella. Mittleres bis gehobenes Preissegment, Mehrwegflaschen auch oder wie bei Fürst Bismarck vorwiegend aus Glas, ein Kasten mit zwölf 0,75-Liter-Buddeln zum Preis zwischen drei und fünf Euro ohne Pfand. Auch beim Markenwasser gab es zuletzt Einbußen. Doch über Fürst Bismarck sagt Annette Kreidler: „Die Marke hat sich in den vergangenen vier Jahren sehr positiv und deutlich über dem Markt entwickelt.“
Kreidler ist Marketingchefin von Hansa-Mineralbrunnen und zuständig für alle Marken der Hansa-Heemann AG mit Sitz in Rellingen (Kreis Pinneberg). Knapp hinter Hella ist Fürst Bismarck die zweitgrößte eigene Marke der Nummer drei unter den deutschen Mineralbrunnen. Und in den vergangenen Jahren lieferten die Reinbeker trotz der Branchenkrise eindrucksvolle Ergebnisse im operativen Geschäft. „Zwischen 2018 und 2021 ist der Umsatz um durchschnittlich acht Prozent pro Jahr gewachsen“, sagt Kreidler, beim Absatz waren es im Schnitt vier Prozent.
Allein 2021 stieg der Umsatz um 12,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr, der Absatz aller Getränke um mehr als zehn Prozent. Im vergangenen Jahr wurden 92,2 Millionen Liter Getränke in Flaschen mit dem Fürst-Bismarck-Logo auf dem Etikett verkauft. Das waren 9,5 Millionen Liter mehr als ein Jahr zuvor. Die Stellung als Platzhirsch unter den Markenwassern in Hamburg und Schleswig-Holstein wurde damit weiter gefestigt.
Vor vier Jahren noch war weniger als jede achte in Super- und Getränkeabholmärkten im Norden verkaufte Flasche Markenwasser eine von Bismarck, zuletzt war es mehr als jede siebte. Und am Umsatz gemessen lassen die Reinbeker (zuletzt 19,4 Prozent Marktanteil im regionalen Handel) den bundesweiten Marktführer Gerolsteiner in ihrer Kernregion noch weiter hinter sich. Wie kann das sein?
Fürst Bismarck erntet die Früchte eines Besitzerwechsels vor fast fünf Jahren. Damals übernahm Hansa-Heemann den Betrieb im Sachsenwald, startete ein teures Modernisierungs- und Investitionsprogramm und weckte die Marke damit aus einem Dornröschenschlaf. Vor Kurzem wurde dabei ein weiterer wichtiger Schritt unternommen: Fürst Bismarck produziert jetzt auch Limonade. Zwei Sorten kommen seit wenigen Wochen nach und nach in die Geschäfte. Das soll den Umsatz weiter nach oben treiben und neue, jüngere Kunden gewinnen. Weitere Neuheiten sind geplant, aber ausgerechnet jetzt hat Fürst Bismarck binnen weniger Wochen zumindest indirekt gleich zweimal den Besitzer gewechselt.
Doch der Reihe nach: Seit 1974 gehörten der Brunnen und die Marke zu Nestlé. Zuletzt hatte der Schweizer Lebensmittelkonzern aber offenbar das Interesse verloren, investierte kaum noch in Standort und Produkte. Bis vor Kurzem zählten mit den Mineralwassern Classic, Medium und Still sowie den Erfrischungsgetränken Wellness, Apfelschorle und dem aromatisierten Lemon-Wasser lediglich sechs Sorten zur Marke, die Mitbewerber dagegen haben ihr Sortiment in den vergangenen Jahren beständig erweitert. Mitte 2017 übernahm Hansa-Heemann die Brunnen von Nestlé und entwickelte eine Langfrist-Strategie: Fürst Bismarck solle weiter als regionale Premium-Marke betrieben werden, sagt Marketingchefin Kreidler.
Seit dem Jahr 2020 läuft in Aumühle die neue Produktionslinie 3, in der ausschließlich Glasflaschen gefüllt werden. Damals begann auch die Umstellung auf eine eigens für Fürst Bismarck entwickelte Flasche mit edler Facettenschliff-Optik. Sie ersetzte die zuvor und von vielen Mitbewerbern weiterhin genutzte sogenannte GDB- oder Perlenflasche. Die Investition in die Technik, neue Kisten und der Austausch des viele Millionen Einheiten umfassenden Flaschenpools dürfte um die 30 Millionen Euro gekostet haben, heißt es in der Branche. Im Hintergrund lief derweil die Entwicklung der neuen Sorten.
Umso überraschender kam Mitte 2021 die Nachricht, dass Hansa-Heemann-Eigentümerin Ursula Lange sich zum Verkauf des Konzerns mit 317 Millionen Euro Umsatz und gut elf Millionen Euro Jahresüberschuss im Vorjahr an den Getränkekonzern Refresco entschieden habe. Wie viel Geld die eine der beiden Töchter von Friedrich Jungheinrich, dem Gründer des nach ihm benannten Hamburger Gabelstapler-Konzerns, von den Niederländern für ihr Rellinger Getränke-Imperium erhielt und warum sie sich von ihm überhaupt trennte, blieb im Dunklen.
Nach der Genehmigung des Geschäfts durch die Kartellbehörden wurde die Übernahme am 1. Februar dieses Jahres vollzogen. Gerade einmal drei Wochen später wurde dann seinerseits Refresco übernommen. KKR erwarb die Mehrheit an den Niederländern. Fürst Bismarck, Hella und Hansa-Heemann sind damit nun als Teil von Refresco im Besitz eines US-amerikanischen Investmentfonds.
An der Hansa-Heemann-Spitze gab es Personalwechsel, aber es gibt keinerlei Hinweise, dass sich etwas an der Premium-Strategie ändert. „Die Marke hat noch sehr viel Potenzial“, sagt Marketingchefin Kreidler. Man kann diesen Satz auch so verstehen, dass in den letzten Jahren unter Nestlé-Ägide sehr viel verschlafen wurde. Bei Fürst Bismarck machen die Erfrischungsgetränke nur etwa zehn Prozent des Gesamtabsatzes aus, bei anderen Marken ist dieser Anteil deutlich höher.
Dass es nun eine Zitronen-Limetten- und eine Orangen-Limo richten sollen, kommt nicht von ungefähr. „Der Umsatz von Marken-Limonaden ist von 2018 bis 2021 bundesweit von 1,09 Milliarden auf 1,27 Milliarden Euro gewachsen“, weiß Kreidler. Am stärksten legten regionale, leichter gezuckerte Limonaden in Mehrweg-Glasflaschen zu. Passt. Und tatsächlich enthält die Zitronen-Limetten-Brause, die einen Nutriscore D erhalten würde, nur wenig mehr Zucker als die Hamburger Kultlimo Lemonaid, kommt ihr geschmacklich aber durchaus nahe. Die unverbindliche Preisempfehlung für die Bismarck-Brausen lautet: 8,99 Euro für eine Kiste mit zwölf 0,75-Liter-Flaschen.
Andererseits sprechen die beiden recht konventionellen Geschmacksrichtungen nicht gerade für überschäumende Experimentier- und Innovationsbereitschaft. Die größere Schwester Hella brachte zuletzt Getränkesirupe auf den Markt, die an TriTop erinnern und unter anderem eine Rhabarber-Limo. „Wir wollen die Marke behutsam modernisieren“, sagt Annette Kreidler mit Blick auf Fürst Bismarck. Analysen zeigen: Die Käufer sind im Schnitt 40 bis 60 Jahre alt, qualitätsbewusst und können über mehr als 3500 Euro Haushaltseinkommen pro Monat verfügen. Es ist ein wohl tendenziell etwas konservativeres Publikum. Allzu trendig Exotisches in Bismarck-Flaschen könnte es verstören.
„Wir wollen verstärkt jüngere Familien ansprechen“, so die Marketingchefin. Dafür ging es sogar dem Fürsten an den Kragen, der der Firmenlegende zufolge einst bei seinen Spaziergängen im Sachsenwald die Quelle entdeckte, in deren Nähe Werksleiter Harm heute das Wasser aus 120 Metern Tiefe pumpen lässt. Auf dem Markenlogo kam das Konterfei des alternden Fürsten mit dem dicken Schnauzer und den bauschigen Augenbrauen lange ziemlich grimmig rüber. Bei der jüngsten Überarbeitung wurden dem Logo-Bismarck die Schulterklappen genommen. Jetzt wirkt er nicht mehr gar so militärisch. Und auf den Brauseetiketten rückt der vor gut 130 Jahren verstorbene Reichsgründer und Markenpatron nun sogar in den Hintergrund und ist viel kleiner präsent als auf den Wasserflaschen.
Bei zwei neuen Limonaden soll es bei Fürst Bismarck nicht bleiben, das Sortiment weiter vergrößert werden. So viel gibt die Marketingchefin preis, konkreter möchte sie derzeit nicht werden. „Im kommenden Jahr wird es weitere neue Produkte geben, aber es werden keine Limonaden sein“, sagt Kreidler. Auch Tee- oder Bitter-Getränke hätten Potenzial am Markt. Zudem gibt es Gedankenspiele um eine Ausweitung des Vertriebsgebiets. Das endet heute noch im nördlichen Niedersachsen. Durchaus möglich, dass Fürst Bismarck künftig auch in Hannover in den Regalen steht.
Was immer da an neuen Sorten kommen mag: Den Anteil der Erfrischungsgetränke in Sortiment-Mix und Gesamtabsatz zu erhöhen, dürfte die strategisch richtige Entscheidung für die Traditionsmarke sein. Getränketrends sind zuweilen kurzlebig. Das zeigen die jüngsten Marktdaten aus dem Handel. Die Verbraucher trugen in den ersten drei Monaten dieses Jahres wieder mehr Billigwasser in PET-Flaschen an die Kassen. In Zeiten der hohen Inflation achten die Kunden nun offenbar wieder stärker auf einen günstigen Preis – und das schlechte Klimagewissen verblasst.
Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Wirtschaft